Meine Beschäftigung mit der Homöopathie bringt mir immer wieder erhellende Einsichten in die menschliche Natur. Wir finden alle Spielarten des Seins in homöopathischen Konstitutionsmitteln verborgen. Ihr Studium gibt Aufschluss über die zugrundeliegenden Beweggründe und Absichten eines Verhaltens, welches sich oft genug völlig unverständlich oder – schlimmer noch! – missverständlich an der Oberfläche zeigt.
Insofern unterstützt die Homöopathie unseren Mentalisierungsprozess, also das Entwickeln unserer Fähigkeit, den anderen als selbstständiges Wesen zu begreifen, dessen Eigenarten sich uns nicht immer spontan erschließen. Mitfühlend und neugierig können wir die Andersartigkeit erforschen bis wir ihre Grundzüge verstehen.
Was dabei geschieht ist eine seelisch-geistige Reifung mit Bewussstseinssprung.
Zur bildhaften Darstellung des Geschehens kommt mir ein Schanzenspringer in den Sinn: Er trifft eine Entscheidung, sich mit seinen Skiern auf die Schanze zu begeben und ab da gibt es kein Zurück mehr. Zwar hat er Einfluss auf seine Körperhaltung und – in engen Grenzen – auch auf seine Bewegungen auf der Schussfahrt. Ob er aber den Absprung wagt oder nicht, steht nicht mehr zur Debatte, wenn er erst einmal auf dem Weg ist. Hat er dann den Sprung vollzogen, schwebt er eine kurze Weile in den Lüften bis er den Grund erneut berührt und für einen geschmeidigen Ausschwung sorgt. Die vollkommen unterschiedlichen Stufen seiner sportlichen Reise können uns als Sinnbild für die Transformation dienen.
In einem solchen Wandlungsvorgang befindet sich meinem Erleben nach die Menschheit. Wir sind schon auf der Piste. Statt uns über die Geschwindigkeit zu beschweren und die Qualität der Eisschicht zu kritisieren, sollten wir uns innerlich lieber auf den bevorstehenden Absprung vorbereiten. Wir können kleine Anpassungen in der Haltung vornehmen, die dem Sprung mehr oder weniger Weite verschaffen oder einfach nur ein höheres Maß an Eleganz. Vermeiden können wir ihn nicht.
Es ist in Ordnung, Herzklopfen zu haben. Jetzt zeigt sich, ob wir darauf vertrauen, dass die Luft uns am Ende der Bodenhaftung tragen wird. Die Luft trägt immer – verblüffender Weise! – wenn das Tempo und die Absprunghaltung stimmen. Natürlich kann jederzeit etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen wie eine Orkanböe oder ein plötzlicher Erdrutsch. Würden wir an diese Katastrophen ständig denken, während wir uns auf den Sprung einstellen, würde unsere Muskulatur unwillkürlich verkrampfen und den Ausgang in unliebsamer Weise beeinflussen.
Polyommatus icarus – der Bläuling
Mit einem solchen Naturvertrauen in den Flug begegnet ein Schmetterlings-Mensch den zahlreichen Umbrüchen in seinem Leben, daher will ich heute mit Ihnen das Arzneimittelbild des Bläulings (lat.=Polyommatus icarus) etwas näher betrachten.
Sein Vertrauen in den weiteren Ablauf der Dinge heißt nicht, dass er keine Angst hat. Er weiß, dass einiges schiefgehen kann. Er ist auch nicht blauäugig, sondern er bereitet sich vor. Ist er erst einmal losgelaufen, hält er nicht mehr an. Dieses Verhalten können Außenstehende beobachten. Was sich ihrem Blick entzieht, ist die vorangehende Verpuppungsphase. Aber alles der Reihe nach.
Am Anfang steht das Raupendasein. Vielleicht erinnern Sie sich an das Kinderbuch „Die kleine Raupe Nimmersatt“. Wenn Sie ein Schmetterlings-Mensch sind, war es womöglich als Kind Ihr größtes Lesevergnügen. Im Folgenden werde ich von Menschen, die eine homöopathische Konstitution haben, dem geschmeidigen Lesefluss halber als „Schmetterling“ sprechen.
Schmetterlinge können im Raupenstadium Unmengen vertilgen. Das betrifft nicht nur Nahrung, die sie unentwegt in sich hinein stopfen, aber wir beleuchten erst einmal das Offenkundige bevor wir uns den Analogien widmen.
Wie andere Leute geregelte Essenszeiten haben können, ist Schmetterlingen schleierhaft. Sie haben ständig Hunger oder Appetit und können zwischen beidem nicht gut unterscheiden. Oft sind schon relativ kleine Mengen ausreichend, um ihr Bedürfnis zu stillen. Erhalten Sie aber keine Speisen oder zumindest etwas Gezuckertes zum Trinken, werden sie rasch unleidlich. Unterzuckerzustände machen sie kalt und ärgerlich. In der Schule gab es Klassenbucheinträge wegen wiederholtem Essen im Unterricht.
Insbesondere im Frühjahr verzehren sie gerne Grünzeug, in der modernen Version auch als Smoothies. Nektarartige Süße steht ganzjährig auf dem Speisenplan. Gegenüber Dosenpfirsichen können sie ein regelrechtes Suchtverhalten entwickeln, so dass sie phasenweise ohne das „Betthupferl“ nicht einschlafen. Überhaupt kann Hunger ihren Schlaf sehr beeinträchtigen. Ohne Essen ins Bett gehen zu müssen, ist daher eine schlimme Strafe.
Schmetterlings-Menschen fressen Kummer in sich hinein. Ihre Frustrationstoleranz scheint keine Grenzen zu kennen. Das stimmt aber nur oberflächlich betrachtet. An einem bestimmten Punkt werden sie einfach nur still. Dann beginnt das Verpuppungsstadium. Sie stellen die Kommunikation ein und gestalten abgekapselt von der Außenwelt eine einsame Lösung in ihrem Inneren bis zur Flugreife aus, die sie zur Überraschung ihres Umfeldes dann mit großer Entschlossenheit unmittelbar nach Verlassen des Kokons in die Tat umsetzen.
Das raupenartige Verschlingen kann sich ebenso auf geistiges Futter beziehen. Aus ihren breit gefächerten Interessengebieten vertilgen sie unglaubliche Mengen an Informationen. Dabei verschmelzen sie das Wissen aus unterschiedlichen Fachgebieten wie in einem Wandlungsprozess miteinander zu völlig neuen Erkenntnissen und ungewohnten Sichtweisen.
Da Verwandlungen sie magisch anziehen, sind sie fasziniert von Alchemie, Spagyrik und vielleicht sogar von Hexenkunst. Zuweilen finden sich zarte Anspielungen auf solche Resonanzen in ihren Vorlieben für phantastische Geschichten in Büchern („Die kleine Hexe“) und Filmen oder in merkwürdige Redensarten. „Wir treffen uns bei Vollmond unter der alten Eiche“ sagen sie vielleicht im Scherz bei einer Verabredung oder sie behaupten spaßeshalber, in ihrem Rezept seien „Spinnenbeine und Krötenpfuhl“.
Spinnen sind nicht ihre Freunde. Naturgemäß haben Schmetterlinge Angst davor, sich in ihren Netzen zu verfangen. Ich kenne einen Schmetterlings-Menschen, der allein beim Anblick einer Spinne Gänsehaut am ganzen Körper bekommt, schreit oder erstarrt. Eine weitere Angst, die sich aus dem Tierleben erklärt, ist die Furcht vor Vögeln. Sie können selbst in einer Voliere eingesperrt noch zu Herzklopfen und Schweißhänden führen, was der Schmetterling emotional mit Ärger und körperlich mit raschen Bewegungen beantwortet.
Die Bewegungen von Schmetterlingen sind ansonsten harmonisch und geschmeidig. Das zeigt sich besonders beim Tanz, zu dem sie sich außerordentlich hingezogen fühlen. Manche haben Freude am Paartanz nach festen Regeln. Typgerechter ist das „Zappeln“ im Freestyle. Sie entwickeln ihren eigenen und unverkennbaren Tanzstil und fallen damit in der Disco auf. Charakteristisch sind dabei die großräumigen Schwünge der Arme und das anmutige Ineinanderfließen der Gebärden.
Wogende Bewegungen des Oberkörpers kann man sehen, wenn sie sich wohlfühlen, zum Beispiel während eines leckeren Mahls. Sind sie aus der Balance, harmonisieren sie sich unbewusst mit kaulquappenartigen Mikrobewegungen der Schulterpartie, was man bei der Körperpsychotherapie beobachten und gezielt einsetzen kann.
Schmetterlinge singen gerne. Nicht immer schaffen sie es mit ihren Künsten auf die Bühne. Sie trällern unter der Dusche und summen bei der Hausarbeit. Ihre Stimmmodulation ist auch beim Sprechen sehr lebendig. Wenn sie während des Tanzens ein Lied mitsingen können, sind sie glücklich.
Das Herausfiltern von aufschlussreichen Hinweisen aus der Sprache ist mein Steckenpferd. Schmetterlinge formulieren genau so geschmeidig wie sie sich bewegen. Weiche Wortwendungen, wie sie im Französischen vorkommen, sind ihnen zu eigen. Sie lieben Stabreime: Mehrere Worte mit demselben Buchstaben zu Beginn, wie soeben „Weiche WortWendungen, Wie…“. In ihrem Wortschatz tauchen Formulierungen auf wie “Ich fühle mich wie freischwebend im All.“, “Die Zeit vergeht wie im Flug” oder „Ich komme Dich am Bahnhof einsammeln.“
Bitte nicht pieksen. Was sie überhaupt nicht leiden können ist, in irgendeiner Art und Weise „aufgespießt“ zu werden. Vielleicht lässt sich ihre Abneigung gegen Nadeln durch ihre Anbindung an das kollektive Bewusstseinsfeld aus den Erfahrungen aller Schmetterlinge erklären, die jemals gelebt haben und gefangen wurden. Sie hassen Spritzen und werden nicht gerne betäubt.
Hege und Pflege. Will man mit ihnen leben, darf man sie weder in eine umfangreiche Schmetterlingssammlung einfügen wollen (viele vorherige Liebschaften), noch sollte man sie hinter Glas aufbewahren wollen, um sich an ihrer Schönheit zu erfreuen. Tag- und Nachtfalter wollen das Leben in vollen Zügen auskosten.
Ihr (Lebens-)Sommer ist endlich und dieses Umstandes sind sie sich vollkommen bewusst. Aus diesem Grund stürzen sie sich ereignishungrig in kulturelle Erlebnisse wie Konzert- und Theaterbesuche, Freundetreffen, Reisen, Essengehen und Shopping-Touren.
Zudem lieben sie es, sich in Schale zu werfen. Der Sinn für Schönheit in der Erscheinung ist ihnen angeboren. Schmetterlingsflügel sind Kunstwerke der Natur. Die geschichteten Farbflächen des Tieres finden sich als Pailletten in der Abendgarderobe von Schmetterlings-Menschen. Ihre feine Leib-Behaarung zeigt sich in der Vorliebe für offenporige Stoffe wie Velours oder Wildleder. Die Kleidung der Schmetterlings-Menschen hat eine kreative Note, ohne dabei grell zu wirken. Sie begeistern sich eher für einen stilvollen Auftritt und achten auf die harmonische Zusammenstellung von Farben sowie auf ausgewogene Proportionen. Beim geübten Blick auf die bevorzugten Töne und Muster im Kleiderschrank lässt sich manchmal sogar die Schmetterlings-Art erahnen.
Ihr Hang zur Symmetrie gemäß der Zeichnung von Schmetterlingsflügeln wird bei der Einrichtung ihrer Räume sichtbar. Die Dinge sind im allgemeinen mittig platziert oder treten paarweise auf. Harmonische Ausgewogenheit mit kleinen Highlights ist ihr Gestaltungsgrundsatz.
Artgerechtes Leben: In der Sonne zu sitzen, ist des Schmetterlings höchster Genuss. Auf der Terrasse oder dem Balkon, im Cafe oder im Park kommen sie zur Ruhe und empfinden eine tiefe Zufriedenheit. Sie wünschen sich Blumen rings umher: auf dem Fensterbrett, im Garten oder in der Vase.
Beim Besuch eines Schmetterlingshauses, wo die Tiere sich frei bewegen und die Besucher umschwärmen, flippte eine Schmetterlings-Frau aus vor Glück. In diesem Zustand strahlen Schmetterlinge „wie der Braodway bei Nacht“, sind begeisterungsfähig und können andere mitreißen.
Ihr Einfluss auf ihre Mitmenschen hat noch tiefere Wurzeln. Schmetterlinge haben Fühler für die Empfindungen der Menschen in ihrem Umkreis. Zuweilen können sie zwischen den eigenen Emotionen oder Körperempfindungen und denen des Gegenübers schwer differenzieren. Sogar innere Bilder und Worte des anderen finden in ihr Bewusstsein. Ihre feinen Antennen können zu Beschwerden durch Reizüberflutung führen oder als Hellfühligkeit zweckdienlich eingesetzt werden.
Als Prinzessin auf der Erbse reagieren sie sensibel auf alle Sinneseindrücke, vor allem, wenn sie unter Stress stehen. Dann werden sie beispielsweise blendempfindlich, vertragen Geräusche oder Gerüche nicht gut und können sich nur in bestimmten Körperpositionen wohl fühlen. Schuhe oder Hosen sind dann plötzlich zu eng und Stühle so unbequem, dass der Nacken sich verspannt.
Das Sitzen ist ohnehin ein heikles Thema. Man sagt zwar „Der Schmetterling sitzt auf einer Blüte“. Tatsächlich stehen die Tiere aber. Beim Sitzen haben Schmetterlings-Menschen besondere Ansprüche. Die Auswahl einer Couch fällt schwer. Herumlümmeln ist keine Option.
Ein Schmetterling trägt womöglich sein gewohntes Kopfkissen rund um den Globus zu allen Reisezielen mit sich.
Geistig sind Schmetterlinge rege. Ständig schwirrt ihnen etwas im Kopf umher. Ihr Verstand will dauernd beschäftigt sein. Sie hinterfragen vieles und betrachten Dinge von unterschiedlichen Seiten. Wenn ein Fachgebiet Ihr Interesse weckt, stecken sie ihren Rüssel tief in den Nektar und laben sich an einem Thema, bevor sie die nächste Blüte aufsuchen und mit der gleichen Hingabe ihre Süße schmecken. So verfahren sie auch mit Hobbys. Während andere Menschen ihr Leben lang einer Freizeitbeschäftigung treu bleiben und diese immer weiter ausbauen, sättigen sich Schmetterlinge daran, genießen das tiefe Eintauchen und gehen dann weiter. Sie sammeln Erfahrungen.
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen
Kommen wir noch einmal zurück auf die Metamorphose. Das Entwicklungsmuster der Schmetterlinge entspricht einem wiederkehrenden natürlichen Ablauf: Aufnehmen, in der Tiefe und Abgeschiedenheit gründlich verdauen und dann etwas vollkommen Verwandeltes aus dem machen, was man aus dem zuvor Einverleibten gewinnen kann.
Genau diese Vorgehensweise werden wir künftig noch brauchen. Was uns dieser Tage widerfährt kann weder endlos so fortgesetzt noch in irgendeiner sinnvollen Art und Weise leicht angepasst werden, damit es gut weitergehen kann. Wir benötigen die Qualität von Metamorphose, einen tiefgreifenden Wandel, der das Bisherige in seine Bestandteile zerlegt und zu etwas vollkommen Neuem formt.
Damit meine ich weder eine neue Politik noch eine neue Ideologie oder einen neuen Glauben. Das Trennende neu zu gestalten, wird keine Lösung bringen, sondern das Verbindende auf wundersame Weise neu zu kultivieren.
Scheinbar hat es die Menschheit gebraucht, dass die Trennung in der Gesellschaft uns unübersehbar anspringt, damit wir uns unserer eigenen Spaltungen im Einzelnen gewahr werden. Wir spalten alltäglich Körperwahrnehmungen ab, Persönlichkeitsanteile, sperren unsere inneren Kinder weg und verschließen die Augen vor unseren Schattenseiten. Wir glauben uns von der Ganzheit entfernen zu können, vom Kosmos, von der Natur, wenn Sie so wollen: von der Schöpfung. Wohin hat uns das gebracht?
Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen unserer Gesellschaft, vor dem Ruin des Gesundheitswesens, viele sind mit ihrem Latein am Ende, was ihre persönliche Entwicklung angeht, in unserer Familie und in unseren Freundschaften sind tiefe Gräben aufgerissen. Wir fragen uns – zu Recht! – wie das jemals alles wieder gut werden kann. In dem Bewusstsein von 2019 wird uns das nicht gelingen. Wir brauchen einen Schanzensprung. Er ist aus meiner sozial-psychologischen Warte unvermeidlich.
Wie er aussehen kann? Die Erkenntnis formiert sich nicht in der Raupe. Die Raupe frisst und wächst. Das ist ihre Aufgabe. Das dringend benötigte Wunder geschieht im Kokon und entlarvt sich erst, wenn die Zeit dafür reif ist.
Niemand kann heute wissen, wie sein Leben oder gar die Menschheitsentwicklung in ein paar Jahren aussehen wird. Mal abgesehen von ein paar psychopathischen Transhumanisten, die sich die Verschmelzung von Mensch und Maschine in ihren Fieberträumen ausmalen, haben wir keine Vorstellung von der Zukunft. Und das ist richtig so.
Sie wird kein neuer Schliff des Vergangenen sein, sondern etwas vollkommen Neues. Ein Schmetterling, dessen Farben wir noch nicht erahnen können, wenn wir heute auf die Raupe oder auf die Puppe blicken.
Was lernen wir also aus der Betrachtung?
Jeder meistert Krisen nach seinem eigenen Muster. Wenn Sie meinen Rat hören wollen: Halten Sie sich nicht an der Erscheinungsform des Kriechtieres fest, wenn sie ein Insekt der Lüfte werden wollen. Bewahren Sie Geduld. Die Phase der Verpuppung ist für viele noch nicht vorbei. Sie werden sich mit einer gehörigen Anstrengung aus dem Kokon quetschen müssen, wenn es soweit ist. Sparen Sie Ihre Kräfte auf, lassen Sie die Transformation in Ihrem Inneren geschehen. Wehren Sie sich nicht sinnlos gegen Ihr eigenes Wachstum. Geben Sie sich den Vorgängen bewusst hin.
In unserer absurd technisierten Welt glauben wir, die natürlichen Abläufe willentlich steuern zu können. Das funktioniert schon beim körperlichen Wachstum kaum, geistige Reifung lässt sich erst recht weder stoppen noch wesentlich beschleunigen. Möglicherweise haben wir Einfluss an der einen oder anderen Stelle. Wir können die Entwicklung leider – oder Gott sei Dank… – nicht kontrollieren. Und wir lassen auch nicht einzelne Stadien aus, weil sie uns lästig sind.
Befreit man einen Schmetterling durch Hilfe von außen von seinem Kokon, wird er niemals fliegen. Seine Flügel müssen sich durch den schmalen Spalt drücken, um die Flüssigkeit im Inneren auszustreifen. Nur so wird er flugfähig. Ihre vermutlich immer wieder schmerzhafte Entwicklung kann Ihnen niemand ersparen. Da müssen Sie durch, und zwar zum passenden Zeitpunkt. Nicht früher und auch nicht zu spät. Woher wissen Sie, wann es soweit ist?
Unsere Entwicklungsaufgaben kommen immer zur rechten Zeit auf uns zu. Ob aus Ihrem Verständnis das Universum gut für uns sorgt oder unser höheres Selbst, dürfen Sie frei entscheiden. Wichtig ist anzuerkennen, dass jeder sein eigenes Tempo hat. Vergeben Sie denen, die noch als Raupe umherkriechen, ihren Standpunkt. Die geschlüpften Schmetterlinge vergeben Ihnen auch den Ihren, falls Sie noch in der Puppe feststecken. Üben Sie sich schon mal im Vergeben, wo auch immer sich eine Gelegenheit bietet. Diese Fähigkeit wird eine Königsdisziplin in der Zukunft sein.
Die eigenen Potenziale im Spiegel erkennen.
Was Sie heute tun können, ist die Schmetterlings-Energie zuzulassen, sobald sie sich in Ihnen regt. Das können Sie nicht forcieren, aber Sie können achtsam sein. Singen und tanzen Sie, wenn Ihnen danach ist. Erfreuen Sie sich an Schönheit und Harmonie, sobald sie Ihnen begegnen. Richten Sie Ihre Fühler auf Zukunft aus. Gestehen Sie sich zu, empfindsam zu sein. Befreien Sie sich von konventionellen Vorstellungen, üblichen Erwartungen und von gewohnheitsmäßigen Reaktionen oder werden Sie sich derer zumindest bewusst.
Was ich in den vergangenen Monaten gehäuft beobachte, ist die Verweigerung des nächsten Schritts durch Projektion. Das ist ein außerordentlich beliebter Mechanismus der Schmerzvermeidung. So verständlich – und so wenig zweckdienlich, wenn man sich weiterentwickeln will. Vereinfacht gesprochen könnte man sagen: Indem man das eigene Verhalten dem Gegenüber unterstellt, schaut man bei sich gezielt weg. Es ist legitim, diesen psychischen Überlebenstrick einzusetzen. Schimpfen Sie nicht mit sich oder mit dem anderen.
Wenn Sie das „Opfer“ einer solchen Projektion werden, ist es wenig aussichtsreich, Ihren Gesprächspartner darauf hinzuweisen. Versuchen Sie stattdessen einmal, darauf GAR NICHT zu reagieren. Das schont Ihre Nerven und wirft den anderen bestenfalls auf sich selbst zurück. Sie werden sich vielleicht wundern, wie erholsam diese Taktik wirkt.
Falls Sie sich selbst bei einer solchen Spiegelung ertappen, bleiben Sie gnädig. Bestimmt ist der Schmerzpunkt wund, sonst würde Ihnen Ihr Unterbewusstsein nicht auf diese Weise helfen, ihn zu vermeiden. Lecken Sie Ihre Wunden, versorgen Sie sie gut – notfalls mit fachkundiger Unterstützung. Sobald Sie die Abspaltung integriert haben, können Sie auch wieder ohne Groll oder Vorwurf auf den Menschen zugehen, der Ihnen als Projektionsfläche gedient hat.
Nein, man sieht nicht NUR mit dem Herzen gut.
Das Geschilderte ist ein Beispiel dafür, wie kostbar die Phase der Verpuppung ist. Sie kann als Pause zwischen Ein- und Ausatmen gesehen werden, als Stadium zwischen Reiz und Reaktion, als kurzer Moment des Innehaltens und Reflektierens.
Wir haben in unserer Kommunikationskultur gelernt, dass wir Konflikte baldmöglichst klären sollen. Dabei vergessen wir in der Regel, dass wir uns erst einmal innerlich klären müssen, bevor wir an den anderen mit all unseren halbgaren Vorstellungen, Ideen und Interpretationen herantreten.
Besonders unsere emotionalen Reaktionen haben häufig eine konkrete Situation als Auslöser, aber in ihrer Heftigkeit haben sie mit dieser und dem scheinbaren Verursacher gar nichts zu tun, sondern mit irgendwelchen unverarbeiteten Erlebnissen aus der Vergangenheit. Sich dessen bewusst zu werden, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu gesunden Beziehungen.
In einigen esoterischen Weltsichten werden die Menschen ermutigt, sich ihren Emotionen hinzugeben, statt immer nur im Kopf zu weilen. Das kann ich nur bedingt so sehen. Wer die Entwicklung des Herzzentrums übersprungen hat (falls so etwas geht), dem mag dieser Tipp nützlich sein. Eher wahrscheinlich ist es, dass die natürliche Entwicklung der Energien bei ihm im Solar Plexus hängen geblieben ist und gar nicht bis zum Herzen frei fließt. Dann fehlt es an Lebendigkeit, Wut muss unterdrückt werden und der Kopf schmeißt seine Rationalisierungen dazu. Wie Sie sehen, ist das ein anderer Ansatz.
Dann will die Wut erst mal gesehen und integriert werden, bevor sich das Herz öffnen lässt. An dieser Stelle stehen gerade sehr viele Menschen. Ihre Empörung wurde geschürt bis zum Hass. Das Gehirn ist durch Adrenalin in seiner Klarheit beeinträchtigt. Sie laufen wutschnaubend durch die Gegend und sind „dagegen“. Übrigens auf beiden Seiten des „Glaubenskrieges“.
Erstrebenswert ist eine bewusste Integration von Kopf, Herz und Bauch. Der „Kleine Prinz“ spricht kindliche Sichtweisen an, die uns auf dem Weg zu einem erwachsenen Erleben irgendwann nicht mehr dienlich sind.
Man nimmt die Welt als gereifter Mensch dann gut wahr, wenn Körperempfindung, Emotion, Gefühle und Gedanken in Einklang sind. Wer Ihnen weiß machen will, es sei für Sie das Beste, Ihren Verstand auszuschalten, will nicht Ihr Bestes, sondern er will Sie im Kleinkindmodus halten. Nur Raupen fressen einem aus der Hand. Schmetterlinge wählen frei, auf welcher Blüte sie sich niederlassen und fliegen davon, wann es ihnen beliebt.
Entwicklung ist ansteckend.
Zum Schluss meiner Überlegungen möchte ich Ihnen noch den Fall eines kleinen Schmetterlings-Patienten schildern, der mir sehr am Herzen liegt. Er kam trotz einer als zeugungsverhindernd eingestuften Erbkrankheit entgegen aller medizinischer Wahrscheinlichkeit zur Welt. Das Kind hat mehrere schwere Organschäden und ist in seiner persönlichen Entwicklung – soweit wir das von außen beurteilen können – behindert.
Nun, wie lässt sich dieses Los mit unserer Vorstellung einer Schmetterlings-Konstitution vereinbaren? Dazu braucht es einen erweiterten Blick, nämlich auf das Familiensystem. Beide Elternteile kannte ich schon vor der Geburt und war überrascht, welche Dynamik das innere Wachstum von Mutter und Vater mit dem Sprößling gewonnen hat. So als habe die ganze Sippe darauf gewartet, dass endlich das Kind kommt, damit man sich mithilfe der dramatisch veränderten Lebenssituation fortentwickeln kann.
Es liegt mir völlig fern, die Belastung der Eltern oder des Buben kleinzureden. Ganz im Gegenteil! Ich bin liebevoll im Mitgefühl. Und gleichzeitig erstaunen mich meine Beobachtungen.
Wie Ringe um die Aufprallstelle eines ins Wasser geworfenen Steins, verbreitet sich die Schwingung einer Konstitution manchmal im Umfeld. Mir gibt das Hoffnung auf die kleinen und größeren Wellenbewegungen in meinem Umfeld und in dem Ihren. Sie lesen meine Veröffentlichungen nur, wenn Sie selbst in Ihren Entwicklungsprozessen fortgeschritten sind oder zumindest eine starke Sehnsucht nach innerem Wachstum in sich tragen.
Ihre Metamorphose dient insofern Ihnen, Ihren Lieben, Ihren Bekannten und Kollegen, selbst den Nachbarn sowie irgendwelchen Fremden, die zufällig in Ihrer Nähe sind, und letztlich der Menschheit als Ganzes. In diesem Sinne kann Ihre eigene Verwandlung Veränderungen bewirken, die Sie kaum für möglich halten. Das ist eine neue Sicht auf den Begriff „Schmetterlings-Effekt“.
Text: Petra Weiß
Foto: Walter Eberl / pixelio.de
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Zur Autorin
Petra Weiß ist Heilpraktikerin, psychologische Beraterin und Therapeutin. Ihre Liebe zur Sprache begleitet sie schon ihr Leben lang. Als Fachjournalistin für das Ressort Medizin und Gesundheit mit den Schwerpunkten Naturheilkunde und Psychologie hat sie zahlreiche Beiträge in Print und Online veröffentlicht.
An mehreren Sachbüchern hat sie als Lektorin und Co-Autorin mitgewirkt. Ihr erstes eigenes Buch SO BIN ICH ECHT erscheint im ersten Quartal 2022 im Hardcover.
Seit Sommer 2020 gibt Sie die Zeitschrift “Weißheiten: vom Ich zum Selbst” heraus. Mit psychologisch fundierten Essays, praktischen Tipps und Denkanstößen begleitet sie Menschen, die sich weiterentwickeln wollen, auf ihrer spannenden Reise zu sich selbst.