Woher wissen wir, was wir wissen?

Schreibkunst Redakteur PR-Text

Lesedauer ~ 17 Minuten
Rubrik: Umdenken

Viele Dinge erfahren wir im Laufe unseres Lebens. Wir nehmen etwas wahr: ein Bild, ein Geräusch, einen Geschmack, einen Duft, eine Bewegung oder eine Berührung. Diese Erfahrungen sind sinnliche Wahrnehmungen. Wir nehmen sie mit unseren Sinnen wahr. Sie erscheinen uns als objektive Wahrheiten. Sind sie das wirklich? Oder ist Objektivität in der Wahrnehmung eine Illusion?

Wenn zwei Menschen dasselbe Bild gezeigt bekommen, beschreiben sie es womöglich mit ähnlichen Worten. „Drei grüne Scheiben und ein rotes Rechteck“, sagt ein Betrachter. Ein anderer meint zu erkennen, hier seien „ein rotes Quadrat und drei grün gefüllte Kreise“. Im Wesentlichen scheinen die Wahrnehmungen übereinzustimmen. Die Zahlen sind identisch, die Formen zumindest ähnlich und die Farben werden gleich beschrieben. Woher wissen wir aber, dass ein anderer Mensch die Farbe Rot in gleicher Weise wahrnimmt wie wir selbst?

Wir alle haben gelernt, eine bestimmte Farbe als Rot zu bezeichnen. Ihre Frequenz ist physikalisch messbar, unsere Wahrnehmung von ihr kann identisch oder unterschiedlich sein. Dass Menschen Farben individuell wahrnehmen, wissen wir spätestens seit Bekanntwerden der Rot-Grün-Blindheit. Sie wird anhand eines einfachen Sehtests festgestellt. Bevor aber diese Menschen einen entsprechenden Test machen oder man die Frequenzen von Rot und Grün gemessen hat: Woher wussten die Betroffenen, dass sie Rot und Grün anders wahrnehmen als ihre Mitmenschen?

Und wenn umgekehrt 99 % aller Menschen eine Rot-Grün-Schwäche hätten, wie würden wir mit denjenigen umgehen, die Rot und Grün unterscheiden können? Hätten wir Angst vor ihrer „übersinnlichen“ Wahrnehmung? Würden wir sie als psychisch krank einstufen und versuchen, sie zu heilen?

Eine Erdbeere ist eine Erdbeere ist eine Erdbeere.

Manchen Sinneswahrnehmungen billigen wir eher zu, subjektiver Natur zu sein. Woher glauben wir zu wissen, dass ein anderer Mensch den Geschmack einer Erdbeere auf die gleiche Weise erlebt wie wir selbst? Vielleicht weil wir das Erlebnis mit denselben Worten beschreiben wie er, z.B. als „süß und fruchtig“. Was genau ein anderer Mensch erlebt, wenn er in eine Erdbeere beißt oder überhaupt etwas Süßes und Fruchtiges isst, können wir nicht wissen, auch wenn wir Zuckergehalt und Fruchtsäure exakt bestimmen können.

Wir geben ihm eine reife Aprikose und freuen uns, dass er auch diese als „süß und fruchtig“ beschreibt. Damit wissen wir, dass in seiner Wahrnehmung beide Früchte ähnliche Erfahrungen verursachen. Ob sie dieselben sind wie bei uns wissen wir immer noch nicht.

Aus diesen Betrachtungen gewinnen wir eine wichtige Erkenntnis: Ich kann nur wissen, wie süß und fruchtig für mich schmeckt und wie Rot für mich ausschaut. Das ist meine subjektive Wirklichkeit. Wir können vermuten, dass andere Menschen ähnliches erleben, wissen können wir das nicht. Ihre subjektive Wirklichkeit ist möglicherweise der unseren gleich, aber vielleicht ja auch ganz anders.

In fremde Köpfe blicken

Dank moderner Technologie können wir beobachten, welche Regionen im Gehirn aktiv sind, während ein Mensch in eine Frucht beißt – was er dabei erlebt, kann uns der Apparat nicht sagen. Vor lauter Begeisterung über den Fortschritt dürfen wir unsere Bescheidenheit nicht verlieren.

Den sokratischen Satz „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, hielt ich lange Zeit für den Ausdruck von Demut eines antiken Philosophen. Erst spät habe ich verstanden, dass man die Aussage durchaus wörtlich nehmen darf: Wer glaubt, etwas zu wissen, befindet sich im Irrtum. Wer hingegen weiß, dass er nur glaubt, der ist weise.

Wir verwechseln häufig unsere subjektive Wahrnehmung mit objektivem Wissen um die sogenannte Wahrheit oder Wirklichkeit. Wenn wir schon im als gesund eingestuften Zustand im Unklaren sind, ob unsere Wahrnehmungen denen der anderen entsprechen, wie schaut das bei Wahrnehmungen außerhalb der Norm aus?

Wahn und Illusion

Die Psychiatrie diagnostiziert eine Wahnwahrnehmung oder Illusion, wenn jemand etwas anderes mit seinen Sinnen zu erfassen glaubt als die meisten anderen Menschen, die sogenannten Gesunden. So als sei Wahrnehmung etwas Objektives. Dabei wissen wir längst, dass manche Menschen besondere Fähigkeiten haben, sozusagen das Gegenteil einer Rot-Grün-Schwäche.

Es gibt zum Beispiel Personen mit einem extrem feinen Gehör, die Töne oberhalb oder unterhalb des üblicherweise wahrgenommenen Frequenzspektrums hören können. Oder elektrosensible, die Spannungsschwankungen wahrnehmen. Nur weil ihre Fähigkeiten nicht der Allgemeinheit entsprechen, heißt das nicht, dass ihre Wahrnehmungen „falsch“ sind. Bei Strom und Ton können wir die Frequenzen messen und ein Gerät sagt uns, dass die Wahrnehmung eine nachvollziehbare ist, auch wenn sie der allgemeinen nicht entspricht. Da haben die Betreffenden aber Glück gehabt! Könnte man die physikalische Frequenzen nicht messen, würden sie vermutlich als Spinner verlacht.

Letztlich sind alle Annehmen, die wir treffen, Konstrukte unseres Verstandes, um die Welt zu begreifen. Menschen bedienen sich geistiger Konzepte, um sich zu orientieren, um sich sicher zu fühlen, um Entscheidungen zu treffen und manchmal auch, um danach zu handeln. Unsere Annahmen gleichen wir mit den Annahmen unserer Mitmenschen ab.

Glauben viele Menschen dasselbe, halten sie diesen Glauben für Wissen. Diese Verwechslung kann Folgen haben.

Wenn schon unsere direkten sinnlichen Wahrnehmungen weit weg von einer  Objektivität sind, wie kommen wir dann auf die Idee, komplexere Zusammenhänge verobjektivieren zu wollen und damit Wahrheit zu erzeugen, was wir Wissenschaft nennen?

Wie schafft man Wissen?

Gibt es so etwas überhaupt: eine objektive Wahrheit? Sind Menschen in der Lage, sie zu ergründen? Oder können wir uns ihr immer nur nähern? Und welche Disziplin sucht wahrhaftig nach ihr?

„Die Naturwissenschaften!“, werden Sie vielleicht vermuten. Nun ja, hier werden Beobachtungen gemacht, die Fragen aufwerfen. Als mögliche Antwort stellt man eine These auf, die man versucht zu beweisen. Also findet man ein Argument, das für diese These spricht, und nennt das einen Beweis. Auch die Anti-These wird aufgestellt und in gleicher Weise beleuchtet. Am Ende wird aus der Gesamtschau eine Synthese gebildet. Wollen wir das Resultat dieser Abläufe als objektives Wissen bezeichnen? Wenn schon die anfängliche Beobachtung etwas Subjektives ist, von der Fragestellung und den entwickelten Thesen ganz zu schweigen.

Wie gehen wir als Menschheitsfamilie mit den sogenannten Wahrheiten um, die uns unsere Wissenschaft beschert? Wozu dienen ihre Erkenntnisse, wenn sie keinen Einfluss auf unsere Leben haben?

Sensationelle Erkenntnisse ohne Auswirkung

Die Quantenphysik hat schon vor Jahrzehnten bewiesen, dass der Beobachter das Experiment beeinflusst, und damit eigentlich die bisher angenommene Objektivität wissenschaftlicher Experimente wissenschaftlich widerlegt. Die Erkenntnis dringt nicht in die Köpfe der Menschen vor: Es gibt keine Objektivität – weder im Labor noch im richtigen Leben.

Und noch etwas hat die Quantenphysik festgestellt: ein und derselbe Partikel kann sowohl Teilchen als auch Welle sein und sich auch noch an zwei Orten gleichzeitig befinden. Wird Ihnen schwindelig? Nein? Dann haben Sie die Tragweite dieser wissenschaftlich belegten Tatsache noch nicht begriffen: Unsere physische Welt, wie wir sie erleben, kann so und auch ganz anders sein.

Um noch das Sahnehäubchen draufzusetzen, könnte man an dieser Stelle eine weitere sensationelle Erkenntnis aus der Quantenphysik erwähnen: Zwei Teilchen desselben Ursprungs bleiben miteinander in Verbindung, auch wenn man sie räumlich voneinander trennt. Materie ist auf der Quantenebene miteinander verbunden!!!

Und was machen wir? Wir leben unser Leben weiter in den Ansichten der alten Physik, ohne von den neuen Erkenntnissen zu profitieren.

Sinnvolle Einsichten

Wenn Materie gleichzeitig mehrere Varianten von räumlichen Positionen und Zuständen einnehmen kann, ist unser 3-D-Modell der Realität überholt. Und in der Tat sprechen Experten von weit mehr als den bekannten 3 oder 4 (incl.Zeit) Dimensionen. Dann ist Materie nicht das, wofür wir sie bisher gehalten haben.

Und wenn ein Beobachter als Faktor in sein Experiment einfließt, dann ist das ein klarer Hinweis darauf, dass Bewusstsein Materie beeinflusst. Wir dürfen also hoffnungsfroh sein, zumindest unseren eigenen Körper durch unser Bewusstsein beeinflussen zu können. Von diesem Maß an Selbstwirksamkeit sollte jeder Mensch Kenntnis erhalten, entsprechende Fähigkeiten sollten erforscht und geschult werden.

Wo erfahren wir davon? Welche Veränderungen finden wir im Lehrplan der Schulen und Universitäten seit diesen umwälzenden Forschungsergebnissen? Und wer nutzt diese spektakuläre Erkenntnis zum Wohle der Menschheit?

Wenig genutztes Potenzial

In den 1980er Jahren kam die sogenannte Psychosomatik in Mode und erreichte sogar die Schulmedizin. Die Beteiligung psychischer Ursachen wurde für ein paar auserwählte Krankheiten offiziell anerkannt. Heute forscht die Psychoneuroimmunologie an den generellen Wechselwirkungen zwischen der Psyche und dem Nervensystem, der Abwehr sowie den Hormonen. Hier gibt es bereits beeindruckende Untersuchungen, die darauf hinweisen, wie wichtig ein guter Gemütszustand für die körperliche Gesundheit ist.

Hören Sie davon täglich in den Medien? Legt man Ihnen Yoga oder Entspannungstechniken ans Herz und ruft jemand Sie dazu auf, Ihre Traumata zu bearbeiten, wenn Sie gesund bleiben oder werden wollen? Ist Ihnen bewusst, wie schädlich Angst für Ihr Immunsystem ist?

Da sind wir wieder bei unserer Wahrnehmung und der Frage nach der Wahrheit. Nur wenn wir uns Gelegenheit geben, den Einfluss unseres Seelenlebens auf unser körperliches Wohlbefinden zu erfahren, wird die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche erlebte Wirklichkeit. Sonst glauben wir, was wir oft genug und von vielen Seiten hören und halten das auch noch für objektives Wissen: Die alleinige Herrschaft über unser aller Gesundheit liegt anscheinend bei den medizinischen Fachleuten.

Nur sie wissen angeblich, wie wir gesund bleiben oder werden können. Sie dürfen uns folglich vorschreiben, was wir wie und wann essen sollen, wie oft und in welcher Weise wir uns bewegen müssen und so weiter. Schließlich gibt es wissenschaftliche Studien! Es wird Zeit, dass wir alle uns über das Wesen von Studien bewusst werden und sie ihren falschen Heiligenschein der Objektivität verlieren.

Verzerrte Wahrheit mit Nachkommastellen

Wer sich ausführlich mit Statistik befasst, dem wird irgendwann klar: Studien beweisen, was auch immer der Studiendesigner beweisen will. Man muss die Kriterien für die Gruppen nur geschickt auswählen oder die Daten in einen entsprechenden Rahmen setzen. Zahlen haben das Image von harten Fakten, daher eignen sie sich am Besten dazu, Menschen etwas glauben zu machen, insbesondere, wenn man sie mit Balken- oder Tortendiagrammen grafisch aufbereitet. Damit erzeugt man die scheinbar objektive Vermittlung eines Sachverhalts: geometrische Formen und Farben. Erinnern Sie sich an unser Anfangsbeispiel?

Wer prüft schon im Detail, ob ein Studiendesign dazu geeignet ist, das herauszufinden, was ihr Ergebnis angeblich belegt? Machen Sie das doch mal zum Spaß in einem Fachbereich, mit dem Sie sich wirklich gut auskennen. Und dann seien Sie sich gewiss, dass solche Zahlentricksereien allgegenwärtig sind.

Wenn unser gesamtes Weltbild auf einer Objektivität fußt, die es gar nicht gibt, wie können wir dann herausfinden, was wirklich wahr ist?

Zunächst einmal müssen wir begreifen, dass wir keine Sicherheit durch äußere Impulse erlangen werden. Das ist hart für unsere Dauerangst-geplagte und daher auf Sicherheit getrimmte Gesellschaft. Warum sind wir so abhängig von der Sicherheit, die uns irgendjemand im Außen anbietet? Weil wir verlernt haben, Sicherheit in uns zu suchen und zu finden. Niemand kann Ihnen sagen, was Ihre subjektive Wirklichkeit ist. Sie müssen sie selbst erfahren.

Wahrnehmen statt Denken

Woher wissen Sie, dass etwas wahr ist? Sie haben es mit eigenen Sinnen wahrgenommen. So wird es zu ihrer Wirklichkeit. Oft bekommen Sie aber etwas aus zweiter oder dritter Hand vermittelt. Wie prüfen Sie den Wahrheitsgehalt solcher Botschaften? Wann halten Sie eine Information für vertrauenswürdig? Hat der Überbringer selbst eine Erfahrung gemacht, von der er erzählt? Oder berichtet er von etwas, das auch er irgendwo gehört oder gelesen hat?

Wir halten Informationen für wahr, wenn sie in unser bisheriges Weltbild passen und wenn wir dieselbe Aussage mehrfach aus verschiedenen Quellen hören. Dann denken wir, etwas zu wissen. Und haben wir uns erst einmal dafür entschieden, etwas zu glauben, haben gegenteilige Informationen kaum mehr Zugang zu unserem Kopf.

Haben Sie Ihr eigenes Wissen jemals hinterfragt? Ich empfehle Ihnen, in den nächsten Tagen immer wieder ein inneres Stopp-Schild zu setzen und sich zu fragen „Woher WEISS ich das?“. Vielleicht fällt Ihnen dann in dem ein oder anderen Zusammenhang auf, dass sie verschiedenen „Glaubensgemeinschaften“ angehören. Das ist vollkommen in Ordnung, solange Sie sich dessen bewusst sind oder werden. Aber bitte halten Sie Ihren Glauben nicht für die Wahrheit.

Wirklichkeit ist der Teil der Realität, der wirkt, das ist Ihr subjektiver Blick auf die Wahrheit. Es kann dienlich sein, wenn Sie das Denken hin und wieder zugunsten direkter Wahrnehmung hintenanstellen. Gehen Sie in die Natur, riechen Sie an einer Blume, erfreuen Sie sich an ihrer Schönheit, spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen, genießen Sie das Aroma einer Erdbeere und geben Sie jemanden einen Kuss. Damit sind Sie nicht in irgendeiner Objektivität. Und das macht gar nichts. Ihre Subjektivität ist für Ihr Leben wesentlich.

Text: Petra Weiß
Foto: Carsten Przygoda / pixelio.de

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